Eigentlich ist es etwas ganz Normales, dass es in einer Partnerschaft auch mal kriselt. Kein Mensch ist perfekt, und wir alle machen Fehler. Wer in einer langjährigen Beziehung lebt, weiß das. Ein Streit ist zwar belastend, gefährdet die Beziehung aber nicht. In der Regel finden beide PartnerInnen in einem versöhnenden Gespräch wieder zusammen.
Es gibt aber Konflikte, die lassen sich nicht so schnell bereinigen. Was tun, wenn ein Partner, die Partnerin zutiefst getroffen ist und einen Fehler partout nicht verzeihen kann?
Die Grundlage des Verzeihens ist vor allem die Entscheidung, es zu wollen. Wenn die verletzte Person nicht verzeihen will, kann dies mehrere Gründe haben:
Die betroffene Person
- hat zu oft die Erfahrung gemacht, enttäuscht oder verletzt worden zu sein, und glaubt nicht mehr daran, dass das Fehlverhalten eingestellt wird,
- möchte ihre Position nicht aufgeben, weil sie glaubt, dann ihre Macht aufzugeben,
- ist zu stolz und fürchtet durch Nachgeben das Gesicht zu verlieren.
Das Problem daran: Verzeihen kann nicht erzwungen werden. Das steckt schon in der Formulierung Um Verzeihung bitten. Derjenige, der um Verzeihung bittet, appelliert an die Güte desjenigen, der verletzt wurde. Wir können aber eben nicht erzwingen, dass uns jemand verzeiht. Nur der Verletzte kann entscheiden, ob er milde sein möchte oder eben nicht. Es ist ein freiwilliger Prozess.
Ich kann ihr das nicht verzeihen!
Vertrauen ist zum Überleben so wichtig wie das Atmen oder die Liebe. Doch dieses Vertrauen ist manchmal harten Proben ausgesetzt und kann durch Verletzungen zu Enttäuschungen führen, die die Beziehung und das Leben belasten.
„Meine Ex hat mich nach 25 Jahren von heute auf morgen verlassen. Ich hasse sie!“
Die Gefühle Wut, Hass belasten die Person, und oft lässt sie der Gedanke an Rache nicht los. Die innere Ruhe ist gestört.
Wenn wir nicht verzeihen, kreisen unsere Gedanken um die negativen Gefühle, wir sind ständig mit Groll, Hass und Verbitterung konfrontiert.
Die Bitterkeit schadet unserer Gesundheit. Unser Immunsystem wird dadurch geschwächt. Menschen, die nicht verzeihen wollen, leiden häufig unter folgenden Symptomen:
Erschöpfung, Anspannung, Kopf- und Magenschmerzen, Rückenschmerzen und
Schlafstörungen.
Die Kunst des Verzeihens beseitigt Aggressionen und gibt Raum für die positiven Dinge des Lebens. Wer verzeiht, kann nach vorn schauen.
Warum fällt es uns so schwer, zu verzeihen?
Vielleicht ist es mein Stolz
Ich kann nicht nachgeben, erlebe das als Schwäche. Aber zum Verzeihen gehört Stärke. Wer stark ist, dem fällt es leichter zu verzeihen. Verzeihen bedeutet „loslassen“. Es heißt nicht, das Verhalten des andern gutzuheißen. Ich kann mich abgrenzen, den Kontakt einschränken. Aber ich habe den Hass aufgegeben, der mein Leben vergiftet hat. Hilfreich kann auch sein, sich an die positiven Erfahrungen zu erinnern.
Was mich verletzt, hat unter Umständen auch mit meinen biografischen Erfahrungen zu tun
Wenn ich mich in meiner Herkunftsfamilie wenig oder gar nicht „gesehen“ fühlte, wuchs ich mit dem Gefühl auf, nicht wichtig zu sein. Ein Fremdgehen meines Partners, meiner Partnerin reaktiviert dieses alte Gefühl und reißt damit auch wieder die „Wunde“ auf, nicht wichtig zu sein. Dieses Gefühl vergrößert natürlich den Schmerz und die Verletzung und erschwert dadurch das Verzeihen.
Verzeihen fällt schwerer, wenn Verletzungen sich wiederholt haben
Ich habe es zugelassen, habe mich nicht rechtzeitig gewehrt. Vermutlich habe ich das nie gelernt und mich nicht getraut oder die Schuld bei mir gesucht. Diesen Anteil bei sich zu sehen erleichtert das Verzeihen, rechtfertigt aber das Verhalten nicht.
Was könnte helfen?
- Ich muss mich dem Schmerz, der Verletzung stellen, darf meinen Schmerz nicht bagatellisieren, sondern muss ihn ernst nehmen.
- Es lohnt sich, den Versuch zu machen, mit der Person zu reden, die mich verletzt hat. Ein klärendes Gespräch mit u. U. einer Entschuldigung ist das, was am Ehesten die negativen Gefühle beseitigt, die „Wunde“ schließt. Wenn das nicht möglich ist oder keine Klärung herbeigebracht hat, dann ist es wichtig,
- mit FreundInnen zu reden, meine Enttäuschung meinen Schmerz, die Wut mitzuteilen, um nicht allein sein mit meinen schmerzlichen Gefühlen. Auch ist es wichtig, dass ich mir eine andere Meinung anhöre, meinen Blick auf die Verletzung erweitere. Vielleicht bekomme ich ein anderes Bild von der Situation, bekomme ich eine Vorstellung davon, was der Beweggrund des Verhaltens gewesen sein könnte. Das allerdings soll nicht heißen, dass ich das Verhalten gutheiße, aber es fällt leichter zu verzeihen.
- Es könnte auch sein, dass ich, wie oben angesprochen, eigene Anteile erkenne.
Es ist nicht sinnvoll, sich Vorwürfe zu machen, dem Menschen vertraut zu haben, der einem die Verletzung zugefügt hat. Jemandem zu vertrauen und enttäuscht zu werden, ist besser, als nie zu vertrauen, um sich so vor einer Enttäuschung zu schützen. Wir würden all die positiven Erfahrungen mit anderen Menschen nicht gemacht haben können.
- Lassen Sie sich Zeit. Die Zeit „heilt auch diese Wunde“, allerdings nicht ohne eigene Bemühungen.
- Machen Sie sich immer wieder bewusst, dass zum Verzeihen Stärke gehört. Beleidigungen, Verletzungen wirken umso stärker, je geringer das Selbstvertrauen ist.
- Helfen könnte sicher auch die Beantwortung der Frage: Habe ich nicht schon genug gelitten? Und der Vorsatz: Dieses Leiden möchte ich beenden.
Der Prozess des Verzeihens hat viel mit Loslassen zu tun, zu akzeptieren, dass man eine Situation nicht ändern kann.
Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass nicht zu verzeihen auch heißt, sich in der Opferrolle zu fixieren. Solange Sie jemandem etwas nachtragen, ist nicht der andere das Opfer, sondern Sie es selbst. Solange Sie sich auf die seelischen Verletzungen konzentrieren, geben Sie dem Menschen, der Sie verletzt hat, erhebliche Macht über Sie. Werden Sie wieder Akteur ihres Lebens. In die Aktion gehen heißt dann, raus aus der Opferrolle, die Situation wieder „in die Hand“ nehmen, aktiv gestalten, nach vorn schauen.
Dieser Versöhnungsprozess kann nur freiwillig und in eigener Verantwortung angegangen werden.
Verzeihen ist kein Versprechen, sich zu versöhnen. Es ist höchstens die Voraussetzung dazu. Ich kann meinem untreuen Partner vergeben und mich dennoch von ihm scheiden lassen.
Der Entschluss, jemandem zu verzeihen, macht es oft sogar leichter, sich von ihm zu lösen und in Zukunft getrennte Wege zu gehen.
Heftige Debatten hatte es ausgelöst, als die Holocaust-Überlebende Eva Mozes Kor 2015 dem früheren Wachmann in Auschwitz, Oskar Gröning die Hand reichte. Dies sei für sie ein Akt der Befreiung gewesen, sagte sie, um den Hass abzulegen, der ihr Leben vergiftete.
Am Zorn festhalten, ist wie Gift trinken und hoffen, dass der andere stirbt.
Ein Indianer erzählt seinem Enkel, dass in ihm immerzu zwei Wölfe kämpfen. Der eine ist friedfertig, sanftmütig, geduldig und lebensfroh; der andere ist zornig, wütend zerstörerisch. „Und welcher Wolf gewinnt?“, will der Enkel wissen „Der, den ich füttere.“
Wir haben es in der Hand, unseren inneren Frieden zu finden.
Der Buddhismus sagt: „An Ärger festhalten ist, als ob du ein glühendes Stück Kohle hältst mit der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Wer sich dabei verbrennt, das bist du selbst.“
Es scheint Situationen zu geben, in denen wir aus gutem Grund nicht verzeihen. Eine Frau erzählte, dass sie dem Mann, der sie überfallen hatte, nicht verzeihen will. Er hatte ihr aus dem Gefängnis heraus einen Brief geschrieben und um Verzeihung gebeten. Sie konnte es nicht, wollte es nicht und zerriss den Brief. Verzeihen war mit ihrem Gerechtigkeitsempfinden nicht zu vereinbaren. Der Preis wäre zu hoch gewesen. Vielleicht spricht auch der Respekt vor uns selbst manchmal gegen ein Verzeihen, zum Beispiel dann, wenn jemand uns immer wiederholt Gewalt angetan hat und keine Reue zeigt. Dann verlangt es gegebenenfalls die Selbstachtung, hart zu bleiben.